Saiten-Weise

Als Tastenmusiker stellt man sich doch ziemlich viele existenzielle Fragen im Leben, wie beispielsweise „analog oder digital“, „Workstation oder Computer“ oder auch „Mars oder Snickers“, aber niemals musste ich über „Taste oder Saite“ nachdenken. Nicht dass die portable Anwendung stromloser Notenwiedergabe keine Vorteile hätte, aber die unlötbare Aufgabe, mit einem Instrument zu arbeiten, das auch ohne selbstgestricktes Kabel, ohne MIDIfizierten Controller oder gar ohne USB-Anschluss ausgerüstet ist, lässt es mir kalt den virtuellen Klangrücken herunterlaufen. 

Dieses Gefühl, Hornhaut an den Fingerspitzen zu besitzen und damit drahthafte Metallbänder zum Schwingen zu bringen, ist nicht nur beinahe wie das Überlaufen des 178 Grad heißen Lagerfeuers, an dem man zuvor noch einige heimelige Coversongs zum Besten gegeben hat. Wenn es dann wenigstens der normale, einfache und noch erträgliche Klang einer Gitarre wäre, aber aufgrund mangelnder Präsentationsvariablen von gezupften Tonerzeugern gesellt sich unweigerlich und fast immer auch noch die vokale Ergänzung zur Versammlung der eigenen acht Akkorde. Gesang und Gitarre, eine teuflische Verbindung. So simpel, aber gemein und niederträchtig in der Absicht der Stillung niederer weiblicher Grundinstinkte, besonders dann, wenn ein lauer Sommerabend zum gemütlichen Elektronik-Event mit analogem Stepsequencer und CV-to-Gate-Verbindung hergerichtet wurde.

Wer in diesen Monaten zum Live-Musik-Grillabend geladen hat, sollte einfach den Zeitrahmen des Synthesizer-Garten-Konzertes nicht zu eng konfigurieren.

„Wir brauchen nur einen Tisch, ein bisschen Strom und eine kleine PA. OK, ein Mischpult wäre auch toll und ein Masterkeyboard. Jetzt nur noch den Laptop und ein paar Controller. „Das war es dann auch schon“, sicherte ich meiner besseren Hälfte zu. „Ach ja, und das gekaufte Grillgut darf ruhig ein paar Minuten länger dauern, während wir aufbauen. So etwas wie eine 25-cm-Rieseneber-Grillhaxe wäre gut, dann wäre auch eine ordentliche Verkabelung fürs Modular-System noch drin und der Oberheim könnte auch auf die Bühne und gestimmt werden. Und bis zum Salat haben wir sicher auch schon angefangen.“

Soweit die Theorie. Die Einwände der Lebensabschnittsgefährtin, ob wir nicht einfach ein bisschen Musik vom Band laufen lassen könnten, wurden ebenso ignoriert wie die Feststellung, dass sowieso sämtliche weiblichen Gäste viel lieber Helene Fischer gehört hätten. „Können wir denn nicht einfach nur grillen?“, hatte sie im Vorfeld gefragt. Ich hatte aber bereits allen Modular-Fetischisten vor Wochen das OK zum Abbau des heimischen Inventars gegeben. „Nein, geht nicht, Peter hat doch schon den Leihwagen für sein Equipment abgeholt“, erwiderte ich und ließ damit keine Diskussionen mehr aufkommen.

Um 13:15 begannen wir mit dem Aufbau, gegen 18:30 kamen die ersten Gäste und kurz vor 8 schob ich den ersten Regler des Pultes hoch. Die darauf folgende und permanent eskalierende Kakophonie des mittlerweile 27minütigen Soundchecks erreichte gerade ihren sägenden Höhepunkt, als das Klanggebilde aus eintausendsiebzehn Leuchtdioden, achtunddreißig Synthesizern und zweihundertsiebenundzwanzig Metern Klinkenkabel komplett erlosch. Gabi, eine etwas ungeschickte und dickliche Hauptschullehrerin, hatte versehentlich auf die dezentrale Verlängerungsmehrfachsteckdose des Bühnen-Setups getreten. Die vier Hardware-Verehrer erstarrten und begannen mit der Recherche nach der Ursache des Stromausfalles.

Die Hausherrin hatte zufällig den Fauxpas ihrer Freundin mitbekommen und ergriff die Chance, den Abend zugunsten der weiblichen Besucher zu entscheiden. Noch während sie im Haus endgültig die Kippsicherung der Außenbestromung betätigte, rief sie den jugendlichen Nachwuchs herbei und bat ihn um die Besorgung seiner holzemulierten Konzertgitarre. „Du, Papa hat Stromausfall draußen, willst du uns nicht so lange etwas auf deiner Gitarre vorspielen?“ Ein 20-Euro-Schein wechselte zusätzlich seinen Besitzer und motivierte zum Alternativprogramm auf der Terrasse.

Zufrieden lächelnd hatte sich die monatlich schwankende Damengemeinschaft dem Gesang des heimischen Jünglings zugewandt, der eine Simon&Garfunkel-Nummer zum Besten gab, während der Hausherr und seine drei Berliner Schüler noch immer nach der Ursache des fehlenden Stroms suchten. Der Abend endete mit einem tosenden Gitarren-Applaus und der Tatsache, dass der Abbau der unbenutzten Synthesizer noch länger als der Aufbau benötigt hatte. Eine erlogene Mitleidsbekundung von Gabi, dass sie nicht absichtlich auf die Steckdose getreten hätte, winkte meine Frau, während sie sich von den Gästen verabschiedete, beiläufig ab und ergänzte in meinem Beisein, dass ich morgen sofort die Sicherungen überprüfen möge und es ja nicht sein könne, dass diese einfach so herausspringen. „Ein toller Abend“ vernahm ich im Gewühl der Menschentraube, die sich durch die Haustür nach draußen begab.

„… God bless you… please Mrs. Robinson“, auch Tage später hing mir noch immer dieser Songfetzen in den Ohren und ich suchte einen Zwanziger, von dem ich wusste, dass er eigentlich in meinem Portemonnaie gewesen sein musste.