Astronautentechnik

Wenn der Kolumnist mal für kurze Zeit sein musikalisches Umfeld verlässt und sich unfreiwillig in die Welt der Verfechter von Glauben an Globuli begibt, sollte man entweder jegliches rationales Faktendenken abschalten oder besser einfach alles hinterfragen. So geschehen beim Besuch einer kreuzgeleiteten Räumlichkeit im Dorf nebenan. Gerade noch konstruierte ich den Beschaffungsgedanken meines alljährlichen Allergienasensprays, da erblickte ich beim Eintritt in die Apotheke den Aufsteller eines einmaligen (und real existierenden) Gesundheitsangebotes.

Ich manifestierte den Begriff „Bioresonanz“ und „Messung NUR heute“. Meine sich zufällig aber zwangsläufig ergebende Recherche ergab (einer älteren Kundin wurde das Angebot gerade erklärt), dass man anstelle für 60 Euro nur heute für 30 Euro im benachbarten Raum eine spektakuläre Analyse seines Körpers durchführen könne, die in 60 Sekunden alle Organe, Zellen und praktisch das gesamte Ich, auf seinen Zustand scannen würde. Die Dame vor mir lehnte ab, denn sie wolle noch ihren Bus bekommen und somit stand ich nun in erster Reihe. Einen Augenblick später hielt man mir ein mehrseitiges Prospekt unter meine juckende Nase  und begann sogleich mit der Verkaufs-Präsentation. Von Raumfahrttechnologie bis hin zu physischen und psychischen Schwingungsmuster, sie enthielt jegliche reißerisch medizinische Erfindungskreationen des vergangenen Jahrtausends und der Referent ergänzte, dass man auch mein persönliches Frequenzmuster ermitteln könne. Seine beinahe musikalisch-technischen Aussagen hatten mich angefixt und ich gebe zu, dass ich nur kurz darüber nachgedacht hatte einfach nach dem Spray zu fragen, es zu bezahlen und dankend abzulehnen. Stattdessen fragte ich: „Welche Frequenzen messen Sie denn ganz genau und in welchem Band liegen diese“? Meine Gegenüber kniff ein Auge zusammen drehte den Kopf nach unten und verfiel umgehend in einen mustersuchenden Lesezustand. „Nun unser Gerät, dass ursprünglich mal für die Astronauten im All entwickelt wurde, kann jegliche Frequenzen bestimmen, egal im welchen Band“. „ Dann ist es also praktisch ein Equalizer mit humanen Spektrumanalyzer“, schlussfolgerte ich. Mein Gegenüber blätterte ziellos im Prospekt und bat um Aufschub einer Antwort: „Da müsste ich nochmal beim Hersteller nachfragen“. Initiativ erweiterte ich seine Unsicherheit und outete mich als vorbelasteten und gut informierten (Hobby)Astronomen: „Ich habe vor einigen Jahren mehrere Abhandlungen über die gesamte bemannte Raumfahrt gelesen und erinnere mich seit der 69er Mondlandung nicht an die Anwendung einer stabhaltenden Bioresonanzanwendung. Wann und wie ist das denn genau gewesen“? Auch zu dieser Frage versprach man eine detailierte Rückfrage beim Geräteerzeuger. Stattdessen verwies er nochmal auf die Tatsache, dass mein Körper jede Menge negative Resonanzen erzeugen würde und ob ich nicht wissen wolle, wie stark sie seien. Ich wusste natürlich von (m)einer Zwiebelschwäche und den Folgen der Aufnahme am Tag danach, sowie einer Laktose-Intoleranz die mich häufiger in akustische Schwingungen versetzen konnte. Aber sicher meinte er etwas anderes. „Nun, negative Schwingungen, das hört sich natürlich nicht gut an“, und ich willigte weiterhin skeptisch, zum Bio-Frequenzermittlungs-Versuch ein. Einige Minuten später hielt ich sitzend einen USB-verkabelten Taschenlampenstift in der Hand und mein Gegenüber startete mit einem Mausklick den Geräte-Scan. Bereits nach 120 Sekunden war der Spuk auch schon wieder vorbei und ich schaute mit ihm auf den Monitor. Es war eine Katastrophe. Praktisch gesehen hätte man mir eigentlich gleich einen RTW rufen müssen. Neben Johny Walker-typischen Leberwerten war der Blutdruck viel zu hoch, die Ausdauer- und Konditionswahrscheinlichkeit waren die eines 80jährigen und der Cholesterin lag jenseits von Gut und Böse. Dafür gab es aber keine festzustellenden Allergien und auch keine Nahrungs-Unverträglichkeiten. Ich stutze und fragte ihn, ob ich den LED-Stift vielleicht doch in der anderen Hand halten solle um das Ergebnis zu invertieren. Sein mehrfaltiges Stirnrunzeln verriet mir, dass er mich nicht wirklich verstanden hatte und noch bevor er fragen konnte erklärte ich ihm meine tatsächliche Körperkonstellation: Dass ich keinen Alkohol trinken würde, 3x in der Woche mindestens 20-30 KM jogge, eine Unverträglichkeit gegen allmöglichen Milchkram habe und sonst eher mit einem sportlich bedingtem Ruhepuls von unter 60 doch eher Kerngesund bin, was mein letzte Gesundheitstest wohl auch bestätigen könnte. Nur meine ganzjährige, allergisch bedingte vasomotorische Rhinitis würde dieses positive Gesamtbild leider immer wieder etwas relativieren und mich manchmal doch Nasal klingen lassen.
Die Gedanken-Stille die es brauchte um sein Null-Treffer-Fiasko zu realisieren, war nicht lang aber nachhaltig. Ich ging auf sein Angebot ein, keine 30 Euro zu bezahlen und empfahl ihm bei der NASA das ursprüngliche Messverfahren nochmal abzugleichen. Ich verließ den Laden und öffnete meinen neuen exakt 60fach-sprühenden-Kortisongeber. Unglaublich wie die das mit der Dosierung immer so genau hinbekommen. Wahrscheinlich Raumfahrtechnik.