Klima-Neutraler-Fußabdruck

„Das ist schon das zwölfte Paket in diesem Monat“! Meine unmusikalische, aber immer messerscharfe Lebensaufschnittsgefährtin erinnerte mich mit leicht bösem Blick daran, dass ich meine Beschaffungs-Bestell-Intensität elektrisch geladener Utensilien bereits schon vor Wochen deutlich überstrapaziert hatte und die heutige Lieferung die Vereinigung sämtlicher umweltfeindlicher Negativ-Argumente komplettierte. Sie hatte Recht, wie immer! Aber was sollte ich tun?! Im Umkreis von 20 Kilometer gibt es keinen vernünftigen Kabelladen und für die Erweiterung des tastengesteuerten Fuhrparks musste man schon über 60 Kilometer reisen. Und das One Way! „Hase, was soll ich den bloß machen? Es gibt nun mal nix in der Nähe!“ antwortete ich verzweifelt. „Du bist doch sonst immer so kreativ, lass Dir etwas einfallen“, erwiderte sie kompromisslos.

 
Beim Barte des Dave-Schmitz-Propheten, es musste doch etwas geben, wie man seine Hardware beschaffen könne ohne gleich wieder sämtliche Klimaschutz-Vorsätze zu torpedieren. In ehrfürchtiger Wickie-und-die-starken-Männer-Manier rieb sich mein Zeigefinger wahllos durch unrasierte und stark ergraute Gesichtshälften. Ich habs! Wieso bin ich da nicht schon früher drauf gekommen. Wir machen einfach eine Kaffeefahrt-Reisegruppe für strombewusste-Filter-Anwender und Kabelsüchtige.
Zwei Wochen und eine offene Facebookgruppe später, hatten sich 28 Leute zum kommenden umweltfreundlichen Einkaufs-Event angemeldet. Den angemieteten Klein-Bus hatte mein Bekannter Heinz organisiert und wir wählten einen Bahnhof in der Nähe als zentralen Sammelpunkt aus. Bereits um achtuhrdreißig sollte der Bus mit den Kaufwilligen starten. Um viertel nach Neun saßen Heinz, ich und zwei weitere Leute im Bus. Eine ältere Dame klopfte an die Scheibe. Heinz öffnete die Tür. „Ist das der Bus nach Feldhaus oder nach Kirchbrück?“ fragte sie. Leicht genervt antwortete ich zynisch: „Tut mir leid, wir fahren nach Oszilator, aber es dauert wohl noch ein bisschen“. Ich grinste und schauderte zugleich, ob der Schlagfertigkeit die ich mir gar nicht zugetraut hatte. „Oszilator“ grummelte die ältere Dame beim Weggehen und Heinz schloss die Tür des Busses. Beinahe Autistisch starrten wir noch viel zu lang auf die anderen An- und Abfahrende Busse und fuhren erst um elfuhrsiebzehn los. Immerhin hatten noch drei weitere Mitreisende den Bus erreicht und so konnte man wenigstens die Wahl des Gefährts mit „in einem Auto hätten wir nicht alle reingepasst“ argumentieren.
Kurz vor Wuppertal wies Heinz auf eine ihm unbekannte Motor-Kontrollleuchte hin. Wir ignorierten es. Nahe Remscheid roch es das erste Mal nach verbranntem Öl. Meine Suche nach Essensresten im Handschuhfach blieb erfolglos und auch die Frage in die Runde ob jemand gestern beim Griechen oder Türken war, brachte uns auch nicht weiter. Erst, als auch sichtbarer Rauch sämtliche Hoffnungen auf eine einfache Erklärung vernichtete, wurde uns klar, dass wir den Zielort nicht in Kürze erreichen würden. „Ja Hallo, ist dort der ADAC?“. Der Mobilfunk-Empfang auf dem Rastplatz Remscheid-Ost war ebenso ernüchternd, wie die Tatsache, dass meine Automobilclub-Mitgliedschaft nicht auf Fahrzeuge mit mehr als neun Plätzen übertragbar war. Wir entschieden erstmal abzuwarten. Es war mittlerweile kurz vor Drei und ich reichte ein Tablett mit Nachtisch.  Remscheid-Ost offerierte  selbstgemachten Pudding nach Großmutter-Art und jeder von uns wusste spätestens jetzt, dass dies das einzig synthetisch erzeugte Produkt sein würde, dass wir heute kaufen werden würden. Heinz hatte einen Abschlepp-Kollegen in Essen angerufen. Der würde uns im Laufe des Tages  Abends noch abholen.
Um zweiundzwanziguhrsieben öffnete sich die Haustür. Meine Lebensaufbaugefährtin empfing mich im Eingangsbereich  und wunderte sich über die geringe Menge an Kartons, Blister- und Softwareverpackungen:„ Was ist los? Du hast ja gar nix eingekauft“? Ich warf meine Jacke an den Flurhaken und kickte meine Schuhe in die Ecke: „Panne mit dem Bus beim Remscheid.“ „Oh“, antwortete sie. „Hast Du wenigstens etwas  Ordentliches gegessen“? Ich ignorierte ihre Frage, nahm die Treppe in den Keller und schloss hinter mir die Studiotür. Nach einem kurzen PC-Piepen verwies mein Rechner auf die SSD-unterstützte Betriebsfähigkeit. Eine kontrollierte Anwendung eines angestrebten Online-Bestellvorganges sollte den Tag halbwegs positiv beschließen. Noch bevor ich mir allerdings erklären konnte, weshalb mein PC die Anzeige einer gültigen Anzahl von DSL-Balken verweigerte, öffnete sich die Studiotür und meine Lebenshaunochmaldraufpartnerin informierte mich über den ganztägigen Internetverlustes, dass man bei Bauarbeiten wohl eine DSL-Leitung getroffen hätte und es wohl erst morgen Abend wieder behoben sei. Ich lächelte suizidal, kramte nach Kleingeld und dachte: „Komm, wenigstens eine Computer-Bild“. Einen Geh-Kilometer später stand ich vor der Tanke. Sie hatte geschlossen, seit gut zwanzig Minuten. Mein Fußabdruck an einer Werbesäule war nicht besonders hübsch, aber wenigstens Klimaneutral.