Und wieder ereilte mich das alljährliche Schicksal, dass ich zum Pflichtgeburtstagsbesuch bei Susanne und Klaus eingeladen war. So richtig wusste ich eigentlich gar nicht, wer nun von beiden überhaupt Geburtstag hatte und war wie immer, einfach nur ins Auto gestiegen und mitgefahren. Auch an diesem Abend bot sich das gleiche Schicksal, mit immer den gleichen langweiligen Personen sowie den gleichen Themen und den gleichen Nörgeleien über die Arbeit, Gesundheit und das schlechte Wetter.
Es war gerade mal ein halbe Stunde vergangen, in der ich zwischen zwei Pärchen auf der Wohnzimmer-Couch saß und ich mich erneut darüber ärgerte, wieder keine Überlebensstrategie für den Abend vorbereitet zu haben, ehe sich zu meinem Erstaunen noch ein weiteres Paar zur Eingangstür hereinschälte, dass ich bisher noch nicht kannte. Gott sei dank musste eine Arbeitskollegin (nebst Anhang) von Susanne schon wieder gehen, da gerade ihre Nanny die unkontrollierte Ausscheidung von Körperflüssigkeiten ihres Nachwuchses geapped hatte. Ich wünschte gute Besserung und bestätigte den unmittelbaren Entschluss der Abreise mit einem „Richtig so“, in der Hoffnung, dass sich die neuen Unbekannten auf den Platz der Abreisenden setzen würden. Mein Plan ging auf und die beiden Neuankömmlinge steuerten direkt auf die frei gewordenen Plätze. Sie, so Anfang Dreißig, Brünett, langhaarig und intensiv gestylt gab ein kurzes Hallo in die Runde und verband es mit dem herumkramen in Taschen und der Suche nach einem Platz für Jacke und Handtasche. Er, dunkelhaarig und eher Mitte Vierzig, legte Handy, eine Schachtel Kippen, sowie ein Feuerzeug und einen Schlüsselbund vor mir auf den Wohnzimmertisch. Ich stutze. Zwischen Autoschlüssel und diversen anderen Aufschließ-Utensilien lugte ein Schlüsselanhänger hervor, von dem ich irgendwann mal gehört hatte, dass es ihn tatsächlich geben würde. Ein großes geschwungenes „R“ mit dem Original-Schriftzug eines des wichtigsten japanischen Synthesizerherstellers lag in leuchtender orangefarbender Pracht vor mir. Es gab ihn also wirklich.
Mein Abend war gerettet, denn endlich hatte der Gott der totbringende Geburtstagsgesellschaftslangeweile ein Nachsehen mit mir und entsandte den ultimativen Gesprächspartner. Meine Gedanken überschlugen sich: Welche Geräte würde mein neuer Tischnachbar besitzen? Welche Synthesen würde er favorisieren und war er Nutzer einer der JD, JP oder JV Geräte? Ja, selbst wenn er aus der Begleitautomatik-Ecke käme, würde ich mich mit ihm über Patterns, Tones und über die Vor- und Nachteile der Sound Canvas Produkte unterhalten. Egal, Hauptsache wir würden über Tasteninstrumente und synthetische Tonerzeugung philosophieren.
Noch bevor sich beide endgültig gesetzt hatten kam die Gastgeberin Susanne meinem ersten Versuch der konstruktiven Kontaktaufnahme zuvor. Nach der freudigen Umarmung drehte sie sich
zu einem Großteil der Geburtstaggesellschaft und stellte die beiden Ankömmlinge vor. „ Hallo, Ich möchte euch Sonja und Roland vorstellen. Sonja hat bei uns in der Firma vor zwei Monaten angefangen und ich freue mich, dass sie heute auch hier ist“. Dem kurzen freundlichen Nicken der Anwesenden folgte zugleich die Widerkehr ins abendliche Gemurmel.
Sein Name war Roland? Ich ahnte fürchterliches und verifizierte sogleich den Zusammenhang zwischen Vornamen und Schlüsselanhänger. Noch hatte ich Hoffnung, dass es nur ein dummer Zufall war. „Schöner Schlüssel-Anhänger“ warf ich meinem Gegenüber zu. Noch bevor er antworten konnte, erwiderte Sonja: „Nicht wahr, habe ich ihm zum Geburtstag geschenkt. Fand ich superschön, mal was anderes als die billigen Namensanhänger aus den 1 Euro Läden. Haben wir mal auf einem Flohmarkt gefunden“. Roland nickte zustimmend.
(M)eine Welt brach zusammen. Entsetzt und in Betrachtung aller Gesetze zur Nutzung von ausweisenden Identitäts-Devotionalien für Musiker, rang ich um eine Reaktion, die meinen Gegenübern gerecht werden könnte. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit dass eine Frau wie sie, zufälligerweise einen Anhänger wie diesen findet, für den 96% aller Roland-User ihre/n Lebensabschnittgefährtin/en eintauschen oder ihn am Schicksalsberg entsorgen würden. Wie bedeutungslos musste ihm der herrlich fruchtfarbende Schriftzug zwischen den Schlüsseln vorkommen, wenn dieser unmusikalische Auenlandbewohner nicht mal wusste was für einen Goldschatz er bei sich trug. Ich war ratlos und unentschlossen. Wäre es nicht besser ihm alles zu erklären? Oder sollte ich meinen aufkommenden gollumschen Gelüsten freien Lauf lassen und ihm zum Konsum einer Zigarette auf den Balkon folgen? Ich lächelte, zog und hustete. Mein Weg führte nach Mordor.