Während sich der Kolumnist eigentlich nie zu schade dafür ist, sich jedem noch so kleinen reißerischen Ansatz für eine satirische Kolumne hinzugeben, so formulieren sich die nachfolgenden Zeilen tatsächlich etwas nachdenklicher als sonst, denn beim Durchblättern des neuesten backsteinschweren Instrumentenkatalogs sinnierte der Autor zum wiederholten Male religionsgleich über die Existenzberechtigung diverser stromgeladener Tonerzeuger.
War es die synthetisierte Blasphemie, die mich selbst ein bisschen erschrecken lies, als ich nicht wie vor höheren Kräften auf den Boden fiel und die sonst üblichen Gebete ausformulierte, um dem elektronischen Paradies der Beschaffung ein wenig näher zu kommen? Wo waren meine himmlischen Vorsätze, die eine ausufernde Ausgabe legitimieren sollten und mich sonst bereits am ersten Gebot „Du sollst dein Konto nicht überziehen“ zweifeln ließen? Nichts, da war rein gar nichts!
Keines der abgedruckten jungfräulichen Tastenmodelle konnte mich zu ausufernder Sünde motivieren, und es hinterließ ein merkwürdiges, tendenziell leeres Gefühl in mir. Nein, selbst das chorale Sample und die analoge Distortion saßen nicht auf meinen virtuellen Schultern, um über Pro und Kontra einer Anschaffung zu diskutieren. Ich musste zugeben, ich hatte meinen Glauben verloren! Um des Oszillators Willen, ich wollte nicht zu den verlorenen Gemeinschaften der „Habschonalles“ oder der Gruppe der „Brauchnixmehr“ gehören. Ich wollte ein Käufer sein! Aber was tun, mir fehlte ein Zeichen!
Ein leiser Luftzug wehte plötzlich durch mein Studio. Der expanderdicke Katalog blätterte sich wie von Geisterhand auf die Impressums-Seite und offenbarte den wichtigsten Vers des Druckstückes: „Kommen Sie zu uns und testen Sie alle Geräte persönlich an!“
Wo war der verdammte Autoschlüssel?
Auf der Fahrt zu den heiligen Hallen der Modularsysteme, Drumcomputer und Sampleplayer überkam mich langsam ein Gefühl der Hoffnung. Intuitiv streichelte ich die kreuzförmige Anordnung der KFZ-Schaltung und drückte verlegen ein paar Taster am ausgeschalteten Radio. Die vorbeiziehenden Bilitis-Wolken hatten etwas von bunten Rabattschildern, die in einem David-Hamilton-artigen Weichzeichnermodus weiteren Anlass zur Heilung geben wollten. Ich stellte mir drehende Potentiometer vor, die Filterwerte von 0 bis 128 erzeugten, rot schimmernde LEDs, die auch grünlich leuchten konnten, und summte dabei tranceähnlich, im Gleichklang der Frequenz eines möglichen Verkaufsgespräches in der Recording-Abteilung. „Selbst, ja selbst saitenbespannte Holzstücke werde ich heute als Instrumente akzeptieren“, so dachte ich mir. Ich fuhr auf den Parkplatz.
Notensymbole und Firmenlogos säumten den Weg zum Eingang des Musikalientempels. Die vermengte Akustik von angetesteten Geräten und dem Gemurmel der Besucher begleitete den audiophilen Geruch von Schalt- und Stromkreisen, die schon jetzt auf Hochtouren liefen.
Ich merkte nicht, wie mir ein bisschen Speichel aus der Mundecke lief, und erhöhte meine Schrittanzahl, um noch mindestens zwei bis drei Jünger in Richtung Tastenabteilung hinter mir zu lassen. Ich verharrte kurz in der Drum- und Percussion-Abteilung und sortierte meine Gedanken. „Hier nicht“, mahnte ich mich, „vielleicht später!“
Es war geschafft. Ein leises Halleluja entsprang meinen Lippen und mein Blick wanderte durch das weite Rund der Tasteninstrumente. Sonnenstrahlen suchten sich den Weg durch die große und imposante Verglasung des Raumes und spendeten scheinbar jedem einzelnen der Geräte die Kraft des Lichtes, um in seiner reinsten Schönheit zu glänzen. Es zeigte Wirkung. Regler und Schalter warfen Schatten, Kabel formten sich zu schlangenförmigen Gebilden, die ihre angeschlossenen tragfähigen apfelförmigen Computer zur reinsten Sünde anpriesen.
Ich erreichte irgendein analoges Gerät, nahm den Kopfhörer und drückte sanft den On-Schalter. Ein leises Brummen signalisierte die Empfängnisbereitschaft für weiteren Input. Die Taste A3 gab meinem leichten Druck nach, eine Sägezahnwelle durchschnitt den letzten Zweifel meiner ungläubigen Gedanken und offenbarte die Überzeugungsfähigkeiten einer 5-Volt-Spannung. Das immer gleich leuchtende 16tel-Sequenzmuster des Modularsystems erzeugte eine wohlige Ausgeglichenheit und mich überkam dieses willenlose Gefühl, jedes der ausgestellten Geräte könnte sich meiner heimischen Geräteglaubensgemeinschaft bedingungslos anschließen. Ich vergaß die Zeit.
„Wollen Sie es in 36 oder 48 Monaten finanzieren?“ Ich säuselte leicht und lächelte. Es kam mir vor, als wäre ich gerade aus dem schönsten Traum erwacht. Die Frage des mir Gegenübersitzenden beantwortete ich mit einem abwinkenden „Egal, Hauptsache, ich kann das Teil gleich mitnehmen“. „Ok, dann machen wir 36, dann sparen sie noch ein bisschen.“ Ich nickte zustimmend und unterschrieb das 14seitige Formular an vier Stellen, ohne auch nur einen Blick auf das Kleingedruckte zu werfen. „Sie können damit jetzt direkt ins Abhollager gehen.“ Während ich bereits den Stuhl umgeworfen hatte und die Türklinke drückte, manifestierte mein Stammhirn den Begriff Abhollager.
Ungeduldig stand ich am Abholtresen. Meine Frage nach etwas zusätzlicher Noppenfolie beantwortete der Lagerist mit dem Hinweis, dass der Originalkarton eine ausreichende Sicherung beinhalten würde. Ich bot ihm fünf Euro für die Kaffeekasse und konnte es kaum abwarten, mit dem Gerät den Heimweg anzutreten.
Erst Jahre später würde ich wohl den effektiven Zins von 12,9 %, die drei Punkte und den 280-Euro-Autobahn-Strafzettel als unverhältnismäßig hohe Beschaffungsnebenkosten betrachten. Es war mir egal, Hauptsache, ich war geheilt!