Mit Tom Jones nach Florida

Die schönste Zeit im Jahr ist – keine Frage – der Sommer und seine Urlaubszeit. Gerade dann, wenn die Reise übern großen Teich geht und man sich schon seit Wochen auf Sonne, Strand und eine nette Arrestzelle freut. Hmm, stimmt, Sie liegen völlig richtig! Diese Dreier-Konstellation angewandter Urlaubs-Synonyme passt so gar nicht zu hundert Prozent zusammen. Aber am besten erklärt es sich mit dem nachfolgenden Protokoll der wichtigsten Reiseereignisse. 

13:56: Checkin am Flughafen Frankfurt a. M. Koffer zu schwer, muss nachzahlen oder Sachen ins Handgepäckt verstauen. Sechs Bücher, ein OP-1 und diverse Ladekabel passen gerade so in die Vordertasche meines Rucksacks.

14:46: Der Flug steht immer noch auf Delay. Krame in der Tasche gelangweilt nach Abwechslung. Entscheide mich gegen ein Buch und für den OP-1.

15:09: Einfach toll, diese Radiofunktion des OP-1. Tom Jones singt „sexbomb, sexbomb…you are a sexbomb.” Ich sample den Refrain.

15:48: Sitze im Flugzeug, Reihe 27. Neben mir ein dicklicher Typ. Wie aus „Ein Ticket für Zwei“. Er zieht die Schuhe aus. Boarding completed.

18.44: Zwei Fischteilchen ertrinken in Sud aus Fett und Kartoffelbrei. Die hoffnungsvollen Augen meines Nachbarn erlöse ich mit der Überlassung meines Essens. Er öffnet seinen Gürtel.

22.39: Mein Sitznachbar schnarcht seit dem Mittelatlantik. (S)ein rechtsseitiger Speichelfaden sucht sich den Weg zum Boden. Ich habe immer noch keinen Hunger. Wir landen in Miami.

23:58: Ich hatte es geahnt. Check-in-Warteschleife nur 2,943 Kilometer lang. Es sind ca. 220 Personen. Mein Magen knurrt. Ich habe Hunger.

00:44: Fast das Ende der Schlange erreicht. Vor mir nur noch ein älteres deutsches Ehepaar. Keiner der beiden spricht Englisch. War klar! Ich versuche zu helfen.

00:53: Erkläre dem Zolluniformierten noch immer, dass ich nicht zu dem Ehepaar gehöre. Stelle meinen Rucksack genervt und energisch auf den Boden.

00:53 und 3 Sekunden: „sexbomb, sexbomb … you are a sexbomb“… Mein OP-1 schaltet sich ebenfalls in die Diskussion ein.

00:55: Der Lauf der MP und die bohrhammerlaute Anweisung des Officers schieben mich in den kahlen Raum neben der Abfertigungshalle. Höre noch entfernte Stimmen aus der Warteschlange. Sie wünschen mir alles Gute. Eine Kamera an der Decke dreht sich zu mir.

01:06: Ich darf meine Unterhose anlassen, während ich den Inhalt meines Rucksacks auf dem Tisch ausbreite. Vier weiße Gummihandschuhe schieben die Sachen auseinander.

01:12: Ich erkläre dem Sergeant, dass es sich bei dem weißen Teil um ein Musikinstrument handelt. Keine Reaktion. Finde einfach keinen Radiosender.

06:30: Mein Rücken schmerzt. Habe kein Auge zubekommen. Auch das Licht der Arrestzelle wurde nicht ausgeschaltet. Habe immer noch den Refrain im Ohr.

07:00: Das 103 Dezibel laute „Stand up“ vermengt sich mit dem Aufschlagen der Zellentür. Der Leutnant verzieht keine Miene. Seine Hand zeigt auf die Tür.

07:06: Sitze im gleichen Raum wie vor sechs Stunden. Mit mir sind vier weitere Personen im Raum.

Eine strenge Dame fordert mich auf, das weiße Kästchen an mich zu nehmen.

07:08: Auf die Schnelle programmiere ich ein Pattern aus einer 16tel-Sequenz und drücke Play. Ich wiederhole die Information, dass es sich um ein Musikinstrument handelt. Immer noch keine Reaktion.

07:11: Finde durch Zufall noch ein altes Drum-Samplepattern von „Beat it“ im Speicher. Ein improvisierter Basslauf erinnert nur rudimentär an das Original. Zeige beiläufig auf einen der weißen Gummihandschuhe, die noch auf dem Tisch liegen. Überlege kurz, ob ich mir auch noch in den Schritt fassen soll. Verwerfe den Gedanken.

07:13: Zwei der vier Personen verlassen den Raum und kommen kurz darauf zurück. Ein dunkelhäutiger Beamter lächelt und gibt mir meine Kleidung, den OP-1 und Rucksack. Ich lächle zurück.

07:27: Der Finger des Captain zeigt in Richtung Ausgang. Seinen Hinweis auf eine schöne Urlaubszeit bekomme ich nicht mehr mit. Bin ziemlich erleichtert und stehe auf. (M)ein angedeuteter Barfuß-Moonwalk quietscht und scheitert kläglich.

08:44: Fahre endlich im Bus nach Miami Beach. Genieße beinahe das Gefühl von Freiheit. Vor mir unterhalten sich mehrere Personen. Sie sprechen Deutsch. Wieder erste Schweißperlen. Ich schaue mich um.

08:49: Bin aufgestanden und sitze nun hinten im Bus. Zwischen einigen Latinos, Mexikanern und Kubanern. Sicherheitshalber.