Mode unbekannt

Es gibt so ein paar Tage im Jahr, da hofft man, nein man wünscht sich, dass sich irgendeine erträgliche Krankheit erbarmt, noch kurz über Nacht vorbeizuschauen. Leider hatte mein Immunsystem ausnahmsweise und völlig selbstständig entschieden, mal keinen gelbfiebrigen Bazillen freien Einlass zu gewähren und es verurteilte mich somit zur Anwesenheit auf der Geburtstagsfeier von Susanne.
Nein es war nicht so, dass ich die Gastgeberin nicht mochte, nur ihr Geschmack bei der Auswahl der Gäste konnte mich nicht so recht überzeugen.

Da waren Peter und Gabi, die als Mustereltern permanent über ihre drei Kinder referierten, Harald der Computernerd, der wieder mal seinen Job bei einer Synthi-Softwarebude verloren hatte und weinerlich herumjammerte, sowie Ulrike und Lars, die synthetikfreien Ökos, die jedem Gast die Vorteile ihres veganen Lebenswandel aufdiktierten. Dazu verloren sich vereinzelte Arbeitskollegen von Susanne, die sich bereits immer mit Zutritt der Wohnung absonderten und natürlich nur über ihren Job (irgendwas mit Medien) diskutierten.
 
Meine aussichtslose Langeweile kreierte diverse Beschäftigungsmaßnahmen, die mich davon abhalten sollten, mein leicht augenklimperndes Einnicken zu verhindern. Ich schwankte gedanklich zwischen dem Angebot der Gastgeberin beim Abräumen der leeren Faßbrause-Flaschen zu helfen, die Anzahl der verschiedenen Teppich-Muster zu zählen oder meine neue Android-Sequenzer-App auszuprobieren. Letzteres scheiterte am Fehlen eines Kopfhörers. Verdammt, warum hatte ich nicht wenigstens ein paar technische Bedienungsanleitungen auf dem Smartphone!
Ich entschied erstmal Zeit zu gewinnen und observierte die Rückkehr eines Toilettennutzers, der pfeifend und gut gelaunt die Badezimmertür hinter sich schloss.
 
Mit einem leichten „Plöpp“ schälte ich mich genervt aus der schwedisch produzierten Dreier-Couch, ohne dass es meine beiden Sitznachbarn überhaupt bemerkt hatten und ich jonglierte durch diverse Stuhl- und Sitzarrangements in Richtung Keramikräumlichkeit. Mein Drang zum vorgetäuschten Flüssigkeitsaustausch stoppte allerdings ähnlich schnell, wie die gedankliche Verarbeitung des Wortes „MODE-Konzerts“, welches sich durch das unglaubliche Wohnungsgemurmel noch so eben in meiner Stammhirnrinde manifestierte.
 
Klaus, der Lebenspartner der Geburtstagsgeberin hatte sich unbemerkt mit seinem Bruder Michael in ein Nebenzimmer geschlichen und hielt ihm sein Smartphone vor die Nase. Ich lugte durch den kleinen Spalt der offen gelassenen Tür und konnte die zwei glänzenden Augenpaare erkennen, die eine Mixtur aus Soundgeschrammel und Pixelmischmasch konsumierten.
Nur mit viel Fantasie lies sich feststellen, dass es sich wohl um ein Video eines Depeche- Mode Konzertes handeln musste, auf dem Klaus kürzlich gewesen war.
Mein WC-Besuch musste warten und ich beschloss, mich den Feierboykotteuren anzuschließen. Mit einem „Wie wars“ quetschte ich mich wiederum gekonnt, zwischen das Brüderpaar, ohne zu ahnen, dass mir Klaus sein neues I-Phone so nah vor die Rübe halten würde, so dass sich mir sämtliche Fingerabdrücke, vermengt aus alkoholfreien Erdinger und diverser Chipsresten, visuell einbrannten.
„So Geil, einfach nur Geil…total der Oberhammer“ wiederholte Klaus ständig und schob seinen Finger permanent auf der Fortschrittleiste des Videoplayers hin und her, um mir
eine undefinierbarer Anzahl von Händehochhalternder Mode-Fans zu präsentieren.
 
Doch plötzlich verstummte die Mischung aus Bild, Ton und den Grunzgeräuschen des Präsentierenden  Sein I-Phone gab keinen Mucks mehr von sich. Der Akku war leer. In dem von Klaus gefilmten Audio-Video-Gewusel wild gewordener Enddreißiger, die allesamt zwanghaft und einarmig ihre stromgeladenen Riesenhandys und Tabletts in die Höhe hielten, war das Alarmsignal der eigenen fallenden Batterieleistung wohl gänzlich untergegangen.

Klaus Ausruf einer Kurzbeschreibung des Ergebnisses eines humanen Ausscheidungsvorganges verlor sich in einer weiteren fluchenden Feststellung, dass er weder ein Ladekabel hatte, sich noch ein Netzteil in der Nähe befand. Beides lag auf der Arbeit.

„Dann erzähl mir doch einfach, wie das Konzert gewesen ist“ schlug ich ihm vor. Klaus schaute erst mich und dann seinen Bruder ungläubig an und erwiderte „ Tja, was soll ich sagen, ich hab ja alles extra mit meinem Handy aufgenommen. Keine Ahnung, was soll ich Dir erzählen“?
Sein Erinnerungsvermögen und die Verweigerung das eigene Augenlicht zur Speicherung diverser Eindrücke zu benutzen, hatten ihn bereits beim Versuch, ohne technische Hilfsmittel den Weg zur Halle zu finden, kapitulieren lassen.
Sein ratloser Blick erzeugte eine diffuse Mischung aus Mitleid und Schadenfreude in mir und ich überlegte auf dem Weg zur Toilette, ob Susanne wohl darauf bestehen würde, dass sich auch die männlichen Gäste setzen müssen. Aber das wäre ja auch nicht so schlimm gewesen, zeigte der Akkuzustandes meines Handys noch über 60% an. Das sollte sitzend noch locker für eine Folge „Big Bang Theory“ reichen und für die Frage, wie viele Fassbrause-Pullen ich diesen Abend noch abräumen werden würde.