Ja, es sind außergewöhnliche Corona-Zeiten. Die letzen Wochen und Monate waren schlichtweg surreal und wir haben alle Dinge gemacht, die wir uns in den künsten Träumen nicht hätten vorstellen können. Da wurden Studios aufgeräumt, Kabel sortiert und Betriebsystemupdates durchgeführt. Wir haben alte Schallplatten herausgekramt, vergilbte Kassetten geputzt und 3,5 Zoll Disketten beschriftet. Wir haben Netzteile aufgewickelt, Zeitschriften aus dem letzten Jahrtausend entsorgt und das erste mal mit dem Staubsauger alle vier Ecken unseres Technikuniversum erreicht.
Unglaublich, zu was wir in Extremsituationen in der Lage sind. Wenn das Studio erstmal so richtig sauber und ordentlich ist, macht es gleich doppelt soviel Spass es zu nutzen. Denkste, denn man sollte die anwesenden Geräte und ihr eigenwilliges Eigenleben auch nicht zu sehr überfordern. Auch 220Volt Stromempfänger haben eine strukturelles Empfinden und überleben eher mal eine überschüttete Tasse Kaffee, als die ultimative Reinigung. Es kann einfach nicht gut sein, wenn sogar alle Schriftzüge, Schalter und Potis wieder deutlich zu erkennen sind. Und schon gar nicht, wenn der Rechner zu sehr optimiert wird.
Denn gerade hatte ich das letzte von siebenunddreißig Updates eingespielt, da verwies mein Rechner beim Neustart auf mehrere fehlende Dateien, die ich gestern noch im Schnittprogramm angelegt hatte. Es waren Video-Computer-Overlay-Dateien die plötzlich nicht mehr da waren. Sicherheitshalber entschied mein Programm alle typgleichen Files in co.vid-Dateien umzubenennen. Ich willigte ein ohne zu ahnen, dass mein Antiviren-Tool dagegen Einwände zu haben schien und gleich mal alles in Quarantäne weiterschob. Dabei hatte ich schon vor Tagen so ein ungutes Gefühl, als mir meine Kleinanzeigen-App wiederholt gebrauchte Access-Synthesizer zum Kauf in der Nachbarschaft anbot und mich mein Rechner zwischendurch in Photoshop auf diverse fehlende Masken hinwies. Auch meine neues tägliches Sicherungstool hatte sich entschieden, selbstständig und völlig grundlos immer 1,5 bis 2 Megabyte große Sicherheitslücken zwischen den Dateien anzulegen. Noch immer erkannte ich kein Muster.
Stattdessen startete ich eine Defragmentierung und wurde danach auf ein ungewöhnliches großes lokales Cluster hingewiesen, dass sich in der Nähe befinden müsse. So langsam dämmerte mir ein Zusammenhang und ich schluckte.
Ein hypochondrisches Kratzen im Hals machte sich bemerkbar und ich hüstelte...grundlos. Die Vorstellung jetzt noch erhöhte Temperatur zu bekommen, hielt mich als letztes doch davon ab, meine Computermaus zu reinigen, obwohl sie doch kabellos war und eine Übertragung irrational erschien.
Ich hatte womöglich den Bogen überspannt und traute mich erst recht nicht, meine musikalischen Geräte einzuschalten. Die Angst, dass sie die Mischung aus Microfasertuch und Kunststoffreiniger in eine Form der Entseuchung überführt haben könnte, lies mich erschaudern. Hatte ich sie allesamt desinfiziert? Ich musste handeln.
Noch immer verstand meine Lebensreinigungspartnerin nicht, warum beide, ständig staubenden Katzenklos die nächsten Wochen in meinem Studio untergebracht werden sollten, ich das regelmäßige Duschen für eine undefinierte Zeit einstellen würde und ich kein Studio-Fenster mehr öffnen sollte, bis ich sie wieder von innen als Notizhilfe für Geistesblitze hatte nutzen können. Es funktionierte.
Den ersten leichten Staubfilm auf der Tastatur und dem Gehäuse quittierte mein Rechner mit einem ordentlichen Lüfterbrummen. Der Hinweis, dass das letzte Backup schon seit mehreren Tagen überfällig sei und der Support für das zurückinstallierte Windows7 Version nun doch wirklich endgültig auslaufen würde, brachte die wohlige Wärme zurück, die dann entsteht, wenn die gewohnten und leicht knisternden körnigen Fremdkörper zurückkehren und sich über die versammelten Gerätschaften verteilen. Da war er wieder, der leicht staubig verrotzte Nasenflügel und die typische Wischbewegung die es braucht, um die Schalter-Bezeichnung auf dem Synthesizer wieder sichtbar zu machen. Es war eine saubere Lösung.