Feindbilder

Wenn sich Musiker mal nicht ganz einig sind und sie sich dazu auch noch online streiten, kann das sehr interessante Formen annehmen. So konnte man vor einiger Zeit einen digitalen Social-Media-Austausch verfolgen, in dem sich zwei Gruppen über die Sinnhaftigkeit (wie konnte es auch anders sein) von virtuellen Software-Synth-Emulationen und ihren analogen Pendants in die Haare bekamen. Gemäß der ungeschriebenen deutschen Regularien germanischer Streitkultur, eskalierte der Thread ganz Forengerecht und brachte dabei auch ungewöhnliche Beleidigungen zu Tage. 

Gab es am Anfang noch so universaltaugliche Anfeindungen wie Begleitautomatik-Beschallter-Schiffschaukelbremser oder Benutzer-von-adaptieren-Miniklinkenkopfhörer zu lesen, so verwendete man im weiteren Verlauf mit Fünfpunkteins-Receiver-im-Studio-Verwender oder Medion-Notebook-für-DAW-User schon vereinzelte erste Tritte unterhalb der Gürtellinie. Das gern genommene Du-schwachmatischer-Patchkabel-für-Insert-Anwender, erwiderte die Analogfraktion mit einem rechtlich fragwürdigen Musikmakerdeluxe-Raubkopierer oder einem sehr beleidigenden Du-Cubasis-Nutzer.
Natürlich gab es auch Ansätze sinnhafter Argumentationen für und gegen die Anwendung von Softwaresimulationen, genauso wie es plausible Gegenformulierungen für die Nutzung der alten Originale gab. Doch wie zu erwarten wurden diese sachlichen Sinnlosigkeiten von den meisten Usern völlig ignoriert, um sich eher auf den reißerischen Austausch von niederen Anschuldigungen zu konzentrieren. Gemäß dem Motto, wenn digitale Einachtelquantisierer auf analoge Hall-auf-Alles-Benutzer treffen, soll der Diskussionsbereich von den sachlichen Nebensächlichkeiten auch komplett befreit bleiben. Im weiteren Verlauf wurde es dann so richtig destruktiv und antisoziale Körperausgangsbezeichnungen, grillbare Tierartenvergleiche sowie die selektiv angedrohte Verwandschaftsdezimierungen sorgten für die gewünschte Weiterführungsqualität des mittlerweile auf 123 Threads angewachsene Meinungsaustausches. Mit, der schon viel früher zu erwartende Beschimpfung Ihr-seid-doch-eh-alles-Behringer-Benutzer, bog die die Diskussion nun endlich ins finale Beleidigungsszenario ab. Das Erwidern, die Gegenfraktion sei ein Haufen altersgreiser-Amiga500-Besitzer-die-immer-noch-samples-alter-Beatzeitschriftenbeilagen verwende, konnte dies nicht wirklich relativieren. Es kam wie es kommen musste. Im weiteren Verlauf ergoss sich eine Unzahl von Gegenbeweis-Fotos über das Forum, auf denen DAT-Rekorder, Minidiskplayer und Tapedecks auf  ungeklonten, retrospektakulären Moogs, Oberheims und anderen namhaften Synths aufgestapelt waren. Es war eine Patt-Situation. Diese Diskussion hatte keine Sieger verdient, soviel war von Anfang an klar und beinahe wäre der Thread schadlos geschlossen worden, wenn nicht ein taufrischer Forumsjüngling mit seinem ersten Foto-Bild-Eintrag einen folgenschweren Fehler beging. In der Vermutung, dass es sich in dieser Forums-Diskussion  um einen Hardware-Posing-Thread handele, lud er ein Foto hoch, auf dem sein Herkules DJ-Controller, begleitet von zwei minderwertigen blau leuchtenden China-Cue-Panels und einem Abbild einer Serato-Software zu sehen war. Was nun kam, erinnerte an den 80er Jahre Film „die Glücksritter“ und der chaotischen Börsenszene in der Dan Akroyd und Eddi Murphy von unzähligen, aufs übelste schreiende Aktienkäufern umzingelt waren.  Die ergänzte und sehr naive Bildunterschrift „ Ey Bros, check my Style“ ließen die Antworten im Sekundentakt einschlagen. Von tellerdrehender-USB-Player, über popelschnippender-Kindergeburtstags-Alleinunterhalter und akkubetriebender-Start-Stopp-Verantwortlicher, es gab unzählige Formen der übelsten Anfeindungen. Und noch bevor der unerfahrene USB-Stick-Checker das Bild wieder löschen konnte, hatte sich die digital-analog-Fraktion schon auf ein neues gemeinsames Feindbild eingeschossen. Eben so, wie das in Social-Media so läuft.