Auch im Musikerleben gibt es Tage, da sollte man besser im Bett bleiben. Gerade dann, wenn morgens um halb neun die ersten Werbetelefonate die gerade angetretene Nachtruhe (ja für Musiker ist das noch Nachtzeit) jäh unterbrechen, drei verkleidete Kinder singend vor der Tür Buchstaben an den Türrahmen malen oder der Postbote eine Unterschrift für die erste der letzten Mahnungen per Einschreiben einfordert. Des Musikers bessere Hälfte hatte bereits vor Stunden das Haus verlassen und noch immer ärgerte ich mich, dass ich keine abschaltbare Türklingel besaß.
Ich beschloss, das nächste Läuten einfach zu ignorieren. Noch mal wollte ich nicht geweckt werden. Mein Weg von der Morgentoilette führte ins Studio, obwohl mich der große Uhrzeiger erst bei drei Runden Bettwärme begleitet hatte. Ich war fast wach.
Das Klacken des Dreifachsteckdosenschalters holte meine elektronischen Kompagnons aus ihrem stromlosen Schlafmodus und nach ein paar Sekunden starrte ich leicht übermüdet auf den lichtspendenden und fensteröffnenden Flachbildschirm. Die Monitore surrten, das 19-Zoll-Rack leuchtete und meine Computermaus lag einladend auf einem runden Stück schwarzen Kunststoff. Nur ein leichtes, aber deutliches Fiepen auf einer mir unbekannten audiophilen Frequenz war irgendwie neu. Hatte ich meinen ersten beidseitigen Tinnitus oder gar raue Mengen an Alkohol konsumiert, dessen Zunahme ich in den letzten drei Stunden vergessen hatte? Nein, beides war unzutreffend, vielmehr musste es eine andere Erklärung für den neuen elektromagnetischen Störenfried geben.
Ich hielt kurz inne, eine imaginäre Weggabelung tat sich auf, links hindernisfrei doch wieder zurück ins warme Bettchen, träumend von Charterfolgen mit ewigen Gema-Einnahmen oder rechts, rechnerzerlegend mit Schraubenzieher und Messgerät bewaffnet Hardware testen und stundenlang in Foren nach potentiellen Fehlerquellen recherchieren. Ich hatte die Wahl.
Warum wir Menschen uns immerwährend leiden sehen müssen, wird wohl auch in den nächsten Jahrzehnten der Homo-Sapiens-Forschung unbeantwortet bleiben, denn natürlich konnte ich die Technik nicht einfach wieder ausschalten, ohne die Ursache gefunden zu haben. Auch die Tatsache, dass meine benötigten Reparatur-Sinne zu dieser morgendlichen Stunde noch nicht einheitlich versammelt waren, hielt mich nicht davon ab, mit der unkoordinierten Entkabelung zu beginnen.
Bereits nach zehn Minuten hatte ich die Hälfte der Tonerzeuger vom Mischpult getrennt und lauschte immer kurz, aber gezielt, ob sich eine frequente Veränderung in der räumlichen Gesamtsumme ergab. Mist, ich hörte es immer noch. Mit einem lautsprecherschädlichen „Plopp“ entkabelte ich weitere Synthesizer und drehte dabei ein Ohr in Richtung Raummitte. Keine Veränderung.
Kabel für Kabel wurde gezogen und es muss wohl mit der frühen Tageszeit und meinen nichtsystematischen Handlungen zu erklären sein, dass mir selbst nach dem folgenhaften Ausbau des Studio-Rechners nicht zwangsläufig aufgefallen war, dass sich das Raumfiepen bereits in mein Unterbewusstsein, ganz im Stil eines kokonbrütenden Aliens, niederträchtig eingenistet hatte. Das Geräusch war immer noch zu hören, obwohl ich das Studio bereits in einem Zustand gebracht hatte, der dem Ende des zweiten Teils gleichnamiger Verfilmung entsprach.
Einige Stunden später saß ich gedankenleer vor einem Haufen von Kabeln, Schrauben und Gehäuseteilen, deren Menge eine leichte Anhöhe bildete und von dem sich manch suizidgefährdeter Studiomusiker hätte lebensreduzierend herunterstürzen können, um dieser sinnlosen Suche ein Ende zu bereiten. Noch immer bohrte sich das Signal in meine Ohren, ohne wirklich zu wissen, welche Schuld mir damit aufgetragen wurde. Welchen Grund gab es für diese harte Prüfung und warum fand ich keine Lösung dafür?
Noch bevor ich mir selbst eine Antwort geben konnte, strich ein kurzer Lichtschein durch mein Gesicht. Die Studiotür hatte sich geöffnet und ein weibliches Gesicht schaute durch einen Spalt hinein. „Hallo mein Schatz, ich bin wieder da, hast du den Trockner nicht gehört? Ich hatte ihn heute Morgen angemacht. Der muss doch schon seit Stunden fertig sein! Warum hast du ihn nicht ausgemacht?“
Sie verschwand, ohne dass ich antworten konnte, ebenso wie fünf Sekunden später auch das Fiepen verging. Sie hatte etwas geschafft, wofür Hollywood noch etliche Sequels filmischer Kunst benötigen würde. Der tonal implantierte Xenomorph hatte meinen Kopf verlassen. Ganz ohne Schnitt und OP, sie hatte ihn einfach nur ausgeschaltet.