Technik die nicht begeistert

Peters Studio war exorbitant und wahrlich das Paradies für jeden Sammler oszillierender Gerätschaften. Neben einigen alten Modularsystemen und spektakulären Exponaten aus der Frühzeit analoger Tontechnik standen auch diverse Synths aktuelleren Beuteschemas in seinem 50 qm² Klangerzeugungs-Areal. Kein Wunder also, dass auch der große Teil seiner Musikerfreunde, die er häufiger zur Vernichtung von Grill- und Hefeteilchen einlud, dankbar vorbeikamen, um mal wieder seinen aktualisierten Fuhrpark zu bestaunen und echten Dokumenten aus dem letzten Jahrtausend zu huldigen. 

Im Normalfall dauerte es dann auch nur ein paar Minuten, bis sich die versammelte Expertenrunde intuitiv auf ein Thema geeinigt hatte, über das in ausführlichster Form zu diskutieren sei.
 Die Vor- und Nachteile von Speichermedien waren in Vergangenheit eigentlich immer schon zu kurz gekommen und Gregor, ein Mittvierziger Horn-Brillenträger, warf sogleich die waghalsige These auf, dass der USB-Stick momentan eh das einzige Datenträgerformat sei, welches sich in allen musikalischen Nutzungsbereichen durchgesetzt hätte. Seine doch sehr provokante Formulierung, dass einige Hersteller sogar eine lebenslange Garantie böten, durchbrach die gedankliche Schallmauer jeglicher Argumentationsarithmetik und begründete damit einen unvorhersehbaren Austausch an theoretischen und fiktiven Infragestellungen.
Werner, IT-Experte und HTML-Virtuose mit Drang zur VA-Synthese unterbrach die Nachdenkphase mit der Frage, was denn überhaupt Lebenslang in diesem Zusammenhang bedeuten würde. Betrifft dies den Benutzer oder den Stick selbst? Wenn es den User beträfe, könnte man dann auch im Rahmen einer testamentarischen Rangfolge, die Garantie nach eigenem Ableben auf weitere Generationen übertragen?  Und wie würde man dann den Pflichtanteil aufteilen, sofern mehrere Erben auch ein musikalisches Interesse bekunden würden? „Was meinst Du Klaus?“ ergänzte Werner.
Klaus,  ein 36jähriger Jurastudent und im früheren Leben Bassist, Drummer und Rowdy wusste keine Antwort, versprach aber der Sache auf den Grund zugehen und einen befreundeten Kommilitonen zu befragen, ehe Sebastian, Grooveboxuser erster Stunde anmerkte, ob man, sofern es irgendwann Reisen unter Stasebedingungen geben würde, einen mitreisender Stick auch auf anderen Planeten einsetzen dürfe. Sofern die Rechtsfrage zur Erbreihenfolge unmissverständlich geklärt wäre, stünde somit auch noch die Problematik im Raum, ob die Garantie nur auf hiesigen Himmelskörpern gelten würde.
Kurzes Schweigen unterbrach die Runde. Frank, VSTi-Nutzer und pragmatischer Preset-Anwender, nutzte das andächtige Stirnrunzeln um ein paar Realitätsbefindlichkeiten einzuwerfen: „Glaubt den tatsächlich jemand, dass wir dann überhaupt noch USB-Sticks brauchen?“
Gregors linkes Auge zuckte bedrohlich, hatte er schon noch vor Beendigung der Frage geahnt, dass Frank ein schnelles Fazit ziehen wollte. Der Hinweis auf seine umfangreichen Soundlibrary auf 3 1/2 Zoll Disketten erzeugte ein deutliches Kopfnicken in der Runde der altersweisen Filterristen. „Wer hätte vor knapp 30 Jahren gedacht, dass es heute noch Musiker gibt, die immer noch einen Atari 260 ST benutzen?“.  „ Und Frank, Du kennst doch den Hans-Dieter, der hat neulich erst wieder eine 8- Bit-Basedrum auf seinem C-64 programmiert. Unglaublich realistisch“ ergänzte er.
Das erneute gemeinsame Zustimmungs-Headbanging hätte beinahe einen kleinen Windstoß verursacht, hätte Frank nicht sogleich einen wesentlichen Einwand formuliert: „ Wer braucht den heute noch sowas wie einen Atari ST oder einen C64?“
Leichte Bestürzung machte sich breit und aus der wohl genormten Diskussion entbrannte ein leichtes kakophonierendes Durcheinander.
Von typischen Qualitäten der Atari-Chips, über das Lüftungsverhalten der zukaufbaren Festplatten und der Anschlagsintensität der nicht so hochwertigen 2 Tasten Maus, alles spielte in der Kausalität des heutigen Existenzberechtigung eine Rolle. „Sowas kann man eben nicht simulieren“, warf Gregor ein.  „ Wenn ich an die Ladezeiten von damals denke, herrlich!“ ergänzte er.
„Ich hatte mal einen Amiga 500“ warf Frank in die Runde.  
Eine virtuelle Plattennadel kratzte über das Vinyl des Entsetzens und eine hollywoodreife, peinliche Stille machte sich nach seiner unbedachten Offenbarung breit. Das allgemeine Kopfschütteln beendete die hitzige Diskussion abrupt.  Der Gastgeber fand als erster zur Fassung zurück: „Frank, Du willst doch nicht diese Daddelkiste mit einem Atari vergleichen?!“, erwiderte Peter. Sein blasphemieverdächtiges Besitztum-Geständnis ließ die anderen an seinem Einladungsrecht zweifeln.  Peter fragte sicherheitshalber nochmal nach: „Aber Du hast ihn doch hoffentlich wieder verkauft?“
Frank schaute verunsichert in die Runde: „ Ich habe ihn nach zwei Monaten an meinen Bruder weitergegeben. Na ich war Jung und brauchte dann das Geld“.
Die angespannte Situation löste sich auf und kurzfristige Ausgrenzungsgedanken wichen der Erkenntnis: „Na Gotts sei Dank, hast dann doch die Kurve gekriegt“ erwiderte Gregor und erlöste ihn schulterklopfend von seiner Jugendsünde. „ Wir haben doch alle mal Fehler gemacht“!