Selten, wirklich sehr selten nutze ich öffentliche Verkehrsmittel und meistens weiß ich nach einer ungewollten Ausnahme auch, warum es besser eine Ausnahme bleiben sollte. Der Tag meines letzten Bustrips in die City einer westdeutschen Großstadt begann mit der schicksalshaften Tatsache, dass mein Auto nicht ansprang und ich in die Stadt musste. In meiner täglichen Bekleidungsautomatik (einfach immer das erste T-Shirt von oben nehmen) hatte ich unkontrolliert und rein zufällig ein inoffizielles Kraftwerk-Autobahn-Shirt (das mit den Tour-Terminen von 1991) aus dem Wäsche-Stapel entnommen und angezogen. Kombiniert mit braunen Shorts und Einlagen-gepimpten Hiking-Schuhen verließ ich das Haus.
Der sommerliche Tag brachte nur kurze Freude beim Warten an der Haltestelle. Der Bus war natürlich rappelvoll und nur die Hoffnung auf einen kreischfreien Sitzplatz in Kippfensternähe löste sich sofort in Luft auf. Geruchsintensiviert verblieb ich direkt im Türbereich und lies meinen Blick kreisen. Diverse Schulkinderhorden umringt von diskutierenden Rentnergruppen prägten das weite Rund meiner gehassten Gelenkbusreise.
Ein junger, leicht ungepflegter Mittzwanziger passte irgendwie nicht zum Bild der restlichen Sitzmeute. Er saß direkt vor mir und grinste mich mitleidig an. Ich stutze und blickte fragend zurück. „ Das sind doch diese Robotertypen“ fragte er mich, während er mit dem Finger auf mein T-Shirt zeigte. Ich schaute an mir herab und realisierte erst jetzt den Grund seines Interesses. „Waren Sie 1991 auf einem der Konzerte? ergänzte er seine Ausgangsfrage. „Öh ja, war ich“ stotterte ich leicht unbeholfen zurück. „Coole Sache, das war bestimmt geil“ äußerte er anerkennend und nahm dabei seine Tasche vom Schoß. Er lächelte erneut und wies dabei auf seine Oberbekleidung. Auch er trug ein Band-Shirt. Sein schwarzes Oberteil offenbarte die Devotionaliät eines Kraftclub-Konzertes aus dem Jahre 2015. „ Das ist doch mal witzig, dass wir beide unsere Lieblings-Kraftbands herumtragen“ schlussfolgerte er. Ich nickte nur zögerlich, denn nicht nur sein Siezen traf mich unvorbereitet, nein auch die unterschiedlichen Jahreszahlen unserer tragbaren Druckerzeugnisse erzeugte Unbehagen in mir. Würde er mir nun noch seinen Platz anbieten, wüsste ich nicht wie ich reagieren sollte.
„Touren die nicht sogar gerade wieder? Die sind doch schon gefühlte 40 Jahre unterwegs?“ bemerkte er beiläufig, während er tatsächlich aufstand und mit seiner Hand auf seinen Platz zeigte. Ohne wirklich zu antworten lehnte ich die Sitzmöglichkeit ab und symbolisierte Steherqualitäten indem ich einen Bus-Haltegriff förmlich erwürgte. Es knackte deutlich und mein jünglicher Musikenthusiast ergänzte gönnerhaft, dass er jetzt sowieso aussteigen müsse. „ Und haben die da nur noch Sitzplätze? Bei den Konzerten meine ich.“ Der Bus stoppte. Ich blieb eine Antwort schuldig und schaute ihm mit einem gequälten Lächeln hinterher.
Es schaukelte kurz und der Bus fuhr wieder los. Der angebotene Sitzplatz war noch frei und ich nahm schnell Platz. Meine Hand schmerzte noch immer und nicht nur sie suggerierte mir die endgültige Zugehörigkeit zu der Masse der restlichen busfahrenden Altersrentenbeziehern. „Scheiße ich werde alt“, dachte ich noch, bis sich eine ältere Dame durch das Gewühl des Busses arbeitete, um nach einem freien Sitzplatz Ausschau zu halten. Sie trug ein langes blaugrünes Kleid, auf dem drei Delfine kunstvoll ineinander gestickt waren. Als sie einem halben Meter von mir entfernt stehen blieb, schaute ich zu ihr herüber.
Erwartungsvoll blickte sie mich an. „Sind Sie ein Flippers-Fan“, fragte ich sie. Verdutzt dachte sie einige Sekunden über meine Frage nach. „Ist egal, es fehlen zwar die Tour-Termine, aber Sie kann sich trotzdem auf meinen Platz setzen“, dachte ich mir und bot ihr meine Sitzgelegenheit an. Ohne ein Wort zu sagen tauschte sie mit mir. Ich hielt mich nun mit der linken Hand fest und lächelte noch ein paar Mal kopfnickend zu ihr herüber, nicht merkend, dass sie bereits hinter einer Zeitschrift visuellen Schutz gesucht hatte. Hauptsache ich stand wieder, dass war viel wichtiger und Ein T-Shirt würde ich mir gleich kaufen, in der Stadt, eines ohne Aufdruck, vielleicht komplett in Weiß oder eins mit David Guetta oder Robin Schulz drauf.