Als 1968 geborener Musikliebhaber hat man so einige Epochen kommerzieller Übermittlungen von tonalen Trends und Stilrichtungen miterlebt. Egal ob via Radio, TV oder echte Langspielplatte, jede Zeit hatte ihre Errungenschaften und Veränderungen, die die eigenen Vorlieben maßgeblich geprägt haben. Ganz besonders war die Zeit, in der man nur mit Dolby C- bis X-angereicherten Kassettenrekordern aktuelle UKW-Sendungen mitschnitt, um sich über missratene Aufnahmen wegen Sprachunterbrechungen des Moderators zu ärgern. Ach wäre doch ein bisschen von dieser Nostalgie ins heutige Jahrtausend zu retten gewesen, denn wenn das digitale Radio im Auto die aktuellen jammerläppischen Deutschpop-Produktionen erklingen lässt, wünscht man sich doch gerne mal die eine oder andere Sprachinformation, die dem marketinggerechten „Oh-Eh-Oh“ der Giesingers, Tawills und Bouranys dieser Welt die Luft entzieht.
Oder wenn irgendeiner wieder singt „sie spielte Cello“ oder „es reist sich einfacher mit leichtem Gepäck“, dann mag sich diese Information nur widerwillig in mein Kurzzeitgedächtnis einlagern, selbst wenn sie bei der vierten Nachmittags-Rotationspräsentation immer noch als das Beste von gestern, heute und übermorgen angepriesen wurde.
Schickt doch endlich mal einen Praktikanten zum ringplanetarischen Hifimarktdiscounter um die Ecke und gebt ihm vorher 20 Euro für ein paar neue gepresste Silberlinge. Oder sucht euch einen Fachmann, der vielleicht eine Ahnung davon hat, wie man die tollen heruntergeladenen Songs vom Handy auf den sendereigenen Medienserver überspielen kann. Ist gar nicht so schwer. Selbst mein achtjähriger Nachbarssohn kann das ohne Abitur und Fernstudium. Ja ich weiß, da steckt immer noch ein Bündel Hunderter im Allerwertesten eures Programmchefs, der es verhindert, die sich ständig auf dich, mich und sich sowie Mensch, Liebe und Leben bezogenen Refrains aus der Rotation zu entfernen.
Zugegeben, die meisten scheinen es toll zu finden, dass sich Radiomusik nur noch darin unterscheidet, welcher von den drei deutschen Musikproduzentenmafiosi das Stück ausgeschieden hat. Es ist gleich und gleicher. Es wird gelitten und geheult und wir sitzen dabei im Auto und heulen mit. Das tue ich im Moment auch, aber nur deshalb, weil der WDR entschieden hat, dass ich nun auch schon für WDR2 zu alt bin und jetzt bitte nur noch WDR4 hören soll. War denn nicht gerade erst noch 1Live (das Junge Radio des WDR) auf dem ersten Speicherplatz meines Radios?
Unerklärlich, aber ich werde nun zurückschlagen. Ich habe hier einen USB-Stick liegen – und ja, ich werde ihn benutzen. Auch wenn ich eigentlich zu faul bin, eine Auswahl meiner Songs darauf zu kopieren. Ich könnte aber auch einfach mal wieder einen Stapel CDs ins Handschuhfach legen – wenn da nicht schon soviel anderes Zeug darin liegen würde. Und entweder sind die meisten CD-Hüllen sowieso leer oder das Presswerk eines anderen Künstlers hat sich durch meine eigene Desorganisation darin verirrt. Okay, vielleicht versuche ich doch nochmal einen dieser Lokalradiosender, ja genau die, die es schaffen, innerhalb von zwei Sekunden von „i wan´t bo break free“ zu Seitenbacher-Müsli zu wechseln, ohne eine spür- und hörbare Pause dazwischenzusetzen.
Deren Werbung zu „Carglass tauscht aus“ mich rechts ranfahren lässt, um in der nächsten Medikamentenausgabestelle mit dem großen A nach der aktuellen Apothekenumschau zu fragen, um dann darin nachzulesen, welcher Krankheit ich nach dem andauernden Radiokonsum wohl erliegen werde. Ich eskaliere.
Was kann mich denn noch retten? Sollte ich vielleicht meine tollwutähnlichen Gefühle an den anderen Straßenteilnehmern auslassen? Wäre eine ordentliche Geschwindigkeitsübertretung zielführend oder würde ich gar links blinken und rechts fahren?
Nichts davon würde helfen, dass wusste ich. Ich konzentrierte mich einfach auf die Heimfahrt und die baldige freudige Anwendung der Technik in meinem Studio. Noch in Gedanken schwor ich mir, nie wieder Presets und fertige Loops.