„Was? Eintausendachthundertundneunzig Euro?“ Mein noch vor kurzem spätpubertierender Nachwuchs nickte bedächtig, aber zielsicher, ohne dabei eine Miene zu verziehen. „Für so‘n bisschen Holz und sechs Drahtsaiten?“ „Dafür kaufen sich echte Musiker 16fach-multitimbrale und 128-stimmige Workstations“, ergänzte ich meine erste Unmutsbekundung. „Ist aber auch eine Les Paul“, antwortete die lebensgroße, von mir unterhaltene Familien-Haupt-Kostenstelle und verwies sogleich auf die Anschaffung meiner versammelten Gerätschaften im heimischen Kellerbereich.
„Dein altes analoges Zeug hat auch mal so viel gekostet und kann doch auch nicht viel mehr als die Gibson hier.“ Sein Finger zeigte dabei auf eine Seite eines geöffneten Musikalienkataloges, der zur morgendlichen Diskussion schon eine ganze Weile auf dem Küchentisch verweilte. Ich trank aus meiner Kaffeetasse, ohne zu merken, dass sich darin nur noch ein dunkler, zuckerintensivierter Kaffeesatzstreifen befand. Egal, ich musste Zeit gewinnen.
„Alleine deine beiden großen Roland-Teile haben doch das x-Fache gekostet. Wann hast du die überhaupt mal in letzter Zeit benutzt?“, hinterfragte er. „Die? Die benutze ich ständig“, erwiderte ich in grob schwächelnder Argumentation und erkannte sogleich, dass mein mittlerweile ein Kopf größerer Musikmach-Hauskonkurrent sehr wohl über meine nachlassende Nutzung diverser älterer Studio-Ausstellungsstücke Bescheid wusste. Zielgerichtet schob er nach: „Ach komm, klingt alles eh nur noch nach Plug-ins bei dir und die Stromkabel der Jupiter waren auch schon lange nicht mehr in der Steckdose.“ Seine Auffassungsgabe und taktisch hervorragende Vorbereitung seiner Beschaffungsstrategie für eine gebrauchte Gibson-Les Paul E-Gitarre erzeugte eine Mischung aus Angst und Stolz in mir. Ich erinnerte mich dabei an meine Jugendzeit und die fantasievollen Finanzierungen, die sich in den 80ern vollzogen hatten.
„Du musst sie ja auch nicht komplett bezahlen. Einen Teil hole ich mir über meine Arbeit und den Verkauf der alten Gitarre.“ Ich rümpfte die Nase. Arbeit? Dass ich nicht lache, dachte ich nur. Sein mickriger, studentischer Nebenjob reichte gerade einmal zur Betankung und zum Unterhalt des gebrauchten Golf 3, den ich schon etliche Male vor der finalen Entsorgung retten musste. Mein Blick wurde glasig. Wieder und wieder musste ich mich an diesen einen Tag erinnern, als meine unmusikalische Lebensabschnittsgefährtin ohne mich zu fragen dem heimischen Nachwuchs eine 39-Euro-Wandergitarre vom Discounter mitbrachte. Er war damals gerade zwölf geworden und ich kam erst spät gegen 21 Uhr nach Hause. Das Schicksal hatte seinen Lauf genommen, denn aufgrund mangelnder Geschenkverpackung und meiner Nichtanwesenheit öffnete Junior schon Stunden vorher den bedruckten Karton, als ich das Unglück noch hätte verhindern können. Natürlich wusste er bereits nach wenigen Minuten, wie er die weiblichen 50 Erziehungsprozente im Haus mit drei leicht zu erlernenden Akkorden von der Richtigkeit des Instrumenten-Geschenkes überzeugen konnte. Später am Geburtstags-Abend erzählte mir meine bessere Hälfte, dass es wohl auch ein Begleitautomatik-Keyboard gegeben hätte, aber eine Verkäuferin hätte ihr davon abgeraten. Ich ertappe mich heute noch, wenn wir dort einkaufen gehen, sie zu fragen, ob sie sich an das Gesicht der Angestellten erinnern könne.
Vielleicht hätte ich es verhindern können, wenn ich ihn häufiger mit dem heimischen Modularsystem hätte spielen lassen. Aber nachdem er mit vier Jahren den rechten Arm eines Playmobil-Indianers komplett in den CV-Ausgang eines MS20 gepfriemelt hatte, untersagte ich ihm grundsätzlich alleinige Aufenthalte in meinem strombestärkten Trigger-Paradies. Natürlich war es ein Fehler. Denn jetzt wusste ich, dass es damals wohl kostengünstiger geworden wäre, ihm einfach den SQ10 mit seinem spannenden Lauflicht zu überlassen, obwohl man vor 18 Jahren dafür auch schon ein halbes Vermögen zahlen musste. Somit bekam ich nun die Quittung. Erst von ihm und dann später die vom Musikgeschäft.