Zweimal Gyros mit Alexa

Mein letzter Besuch bei Thomas war schon eine ganze Weile her. Zumeist besuche ich ihn, wenn eines meiner Technikteile mal zickt oder kaputt ist, denn Thomas ist der Meister aller stromgeladenen Wiederbelebungen sowie Mega-MIDI-Reparateur und DIY-Jedi in einer Person. Wenn er etwas nicht wieder ins heimische 230-Volt-Reich zurückholen kann, ist es tatsächlich für ewig und immer verloren und dient dann maximal noch als Mahnmal schlechter Ingenieurskunst.

„Hey lange nicht gesehen. Komm rein. Was hasse denn da mitgebracht? “, begrüßte er mich an der Tür. „Ich habe hier ein defektes Netzteil von einem Effektgerät. Kannst du es dir vielleicht mal anschauen?“, erwiderte ich. „Es macht leider keinen Mucks mehr“. „Zeig mal her!“ Thomas nahm mir den kleinen 12-Volt-Erzeuger aus der Hand und zeigte auf die offene Tür seines Studios mit dem Hinweis, dass ich hineingehen solle.

Alexa, schalte ALLES an!“ rief er hinterher. Ich stoppte. Ein Arsenal aus geschalteten Relais, Kondensatoren und Transistoren brachte mich an den Rand eines epileptischen LED-Anfalls, denn sogleich startete sein gesamter Fuhrpark an Gerätschaften, egal ob für Tonerzeugung, Lichtgebung oder Alt-Pizzapappkarton-Geruchsentsorgung. Seine NCC 1701 Gedächtnisräumlichkeit erstrahlte in Sekundenschnelle in ihrer gesamten Pracht und selbst ich als Einhundertdreiundreißig-Gigabyte-Soundarchiv-Eidetiker und dreimaliger Wimmelbild-Jugendmeister konnte die versammelten Stromstart-Eindrücke nicht selektiv verarbeiten. „Mann Alter, du hast aber auch wirklich viel Krempel!“, äußerte ich ohne zu ahnen, dass seine drei gesprochenen Worte erst der Anfang der noch kommenden Fernsteuerungsereignisse sein würden. Thomas grinste leicht und ergänzte: „Alexa, starte D A W.“ Wie von Geisterhand schaltete sich einer der vier Monitore an, der sich um eine Handvoll Eingabegeräte tummelte. Auf dem Bildschirm erschien eine Bootsequenz und Sekunden später die Oberfläche (s)einer Sequencer-Software. Ich staunte: „Coole Sache, das!“ „Jau, und das Beste ist, ich kann alles auch von unterwegs steuern, egal wo ich bin“, fügte er hinzu. Ich staunte noch immer. Noch mehr staunte ich aber, als er mir schon gleich das geöffnete Netzteil unter die Nase hielt und auf ein Bauteil zeigte. „Hier, der Elko ist hinüber. Ist ausgebeult. Den habe ich aber gerade nicht hier. Aber wir können eben einen bei meinem Händler holen. Ist nicht weit, nur drei Autominuten. Außerdem können wir uns was zum Essen holen. Da hat ein neuer Grieche letzte Woche aufgemacht. Hast du Hunger?“ Mit der Aussicht auf eine schnelle 12-Volt-Genesung stimmte ich zu und wir fuhren mit angelassener Technik zielstrebig und erfolgreich zunächst zum Kleinteile-Elektroniker und danach zur Stillung seines niederen Tzaziki-Grundinstinktes. „Bin gespannt wie der ist“, äußerte Thomas, als wir aus dem Auto stiegen. Ich öffnete die Ladentür. Ein vollschlanker, geschürzter und vollflächig bebarteter Mann begrüßte uns: „Kalimera, wassollsdennsein?“ Ich, als Fachmann für Gyros in Metaxasoße und selbstgemachten Krautsalat aus den südlichen Regionen von Thessaloniki wusste, was ich bestellen würde und formulierte mein Standardmenu. Auch Thomas hatte klare Vorstellungen von der Zusammenstellung seines zunächst gedrehten und später geschnittenen Fleischbrockens. „Einmal Gyros Spezial mit Pommes, Tzaziki und Bauernsalat.“ Der Bestellempfänger nickte zustimmend, während er unsere Bestellung auf einem Zettel verewigte. Völlig unerwartet drehte er seinen Kopf in Richtung der benachbarten Küche und schrie: „Alexa!“. Nach einer Sekunde wiederholte er „ALEXAAAA!“, wohl zu wissen, dass es hier mindestens einer zweimaligen Ansprache bedurfte. Wir schauten uns ungläubig an. Thomas Smartphone leuchtete kurz auf und vibrierte: „Tut mir leid, das habe ich nicht verstanden“, antwortete es ungefragt. „Könntest du das bitte wiederholen?“ Thomas hatte sein Handy aus der Tasche geholt und blickte ungläubig darauf.

Aus der Küche ertönte eine weibliche und ziemlich genervte Stimme. Vermutlich die der „Lebensaufabschnittsgefährtin“ des Fragestellers, die ein stumpfes „Waaaas?“ hervorbrachte. „ALEXA…Chreiázomai dýo salátes kai dýo piáta me kréas“, brüllte der Ober- und Unterlippenbartträger zurück ohne mitzubekommen, dass Thomas‘ Smartphone auch auf diese Worte mit ihrer sehr freundlichen Stimme reagierte. „Soll ich ALLES ausschalten?

Noch bevor Thomas das Unheil hätte verhindern können, beantwortete der säbelnde Mittfünfziger mit einem lauten „Jaaaaa … zweimal“ eine für uns unverständliche Mengen-Rückfrage aus der Küche. Thomas‘ Blick wurde starr vor Entsetzen, als er erneut auf sein Telefon schaute. „Ok, ich schalte ALLES aus.“ Sein Smartphone erlosch.

Thomas erzählte mir mal einige Zeit später, dass er etwa drei Wochen für eine Neuprogrammierung von Alexa benötigt hätte. Deshalb hatte er wieder auf manuelle Steckdosen umgestellt. Der Grieche hielt sich auch nicht lange. Man sagt, die Kunden hätten sich wohl zu häufig über das merkwürdige Gebrülle im Laden beschwert.