Wenn sich 8-jährige Kinder zu ihrer Berufswahl outen, mag man manchmal die Aussagen der Kleinen belächeln. Im Besonderen, wenn so Berufe wie Feuerwehrmann, Raubritter oder Bob der Baumeister geäußert werden. Nachdenklich sollte man aber immer dann werden, wenn sich der Nachwuchs von einem Bekannten eines Freundes zielsicher als kommender DJ outet. So geschehen beim alljährlichen Geburtstagsbesuch bei Susanne und Klaus, von dem ich mich auch dieses Mal nicht entziehen konnte.
Aufgrund der vergangenen Jahre und ihrer lebenszeitverschwendenden Erfahrungen, sich mit allerlei Arbeitskollegen und anderen Vollzeitlangweilern zu beschäftigen, hatte ich die glorreiche Idee, mich schon zum Nachmittagskaffee einzuladen. So ganz in der Hoffnung mal eben den obligatorischen Geschenkgutschein abzugeben, ein Stück Kuchen zu inhalieren und in Nullkommanix wieder die Heimfahrt anzutreten. So weit, so gut. Neben ein paar Familienangehörigen und einer Handvoll Freunden tobten noch ein paar Kinder durch die Wohnung und ich recherchierte das Angebot der optionalen Nahrungsaufnahme.
Ich bat Susanne um einen Latte Macchiato. Das komplett koffein- und fettfreie sowie total „fairgetradete“ Heißgetränk passte wie immer in seiner Geschmacksneutralität exakt zur selbstgemachten Rosinen-Kümmel-Torte. Während ich noch den ersten Bissen herunterwürgte, suchte ich auch so gleich einen Dauerablageplatz für Teller und Glas nebst Inhalt. „Schmeckt die Torte?“, fragte Susanne mich. Ich erwiderte kopfnickend und krümelte ein „Super“ aus mir heraus. „Schön, wenn du noch ein Stück möchtest, gib Bescheid“ ergänzte sie und ließ mich sitzend in meiner weiteren Kuchen-Verzehr-Simulation allein.
Nur kurz, nachdem ich mich von der Last der Ungenießbarkeit entledigt hatte, lugten zwei Kinderaugen hinter einer Couch hervor, und egal, wie ich auch gelächelt hätte, ich wäre wohl immer das heutige Opfer geblieben. Lukas war eines dieser Kinder, die ihren Gedankenoutput, für deren Übermittlung es normalerweise zehn Minuten braucht, auch in drei Minuten schafften. Er erzählte ohne zu fragen gleich drauf los. Trotz intensivster Dichte an Informationen konnte ich die wesentlich Zusammenhänge seiner sprudelnden Worte verstehen und stutzte interessiert ganz zum Schluss seines Monologes, als er davon berichtete, dass seine musikalischen Interessen ihn später einmal auf die ganz großen DJ-Bühnen bringen würden. „Ach, du willst mal DJ werden?“, bohrte ich nochmal nach. „Ja ganz genau“ antwortete er und ergänzte, dass er sich zum kommenden Geburtstag ein DJ-Pult wünschen würde.
Ich war über seine klare Absichtserklärung überrascht und hielt einen Moment inne. Ich wusste genau, dass der aktuelle Moment ein sehr bedeutsamer sein würde. Hier ging es gerade um die Entscheidung, die dunkle Seite der Musik zu begehen. Meine Gedanken simulierten ein Abbild des jungen USB-Stick-Walkers in 15 Jahren, während er vor irgendeiner 30 Meter hohen LED-Wand stand, beide Hände in die Höhe hielt und dem Publikum leicht koks- und alkoholversilbert zuwinkte. Innerlich spürte ich bereits das Wummern der Bässe, das Volk hysterisch herumkreischen und sah dabei, wie leere Wodka-Pullen seitlich von der Bühne rollten.
„Lukas, das ist eine super Sache, das mit dem DJ werden. Aber wusstest du eigentlich, dass die allerbesten DJs mit einem echten Instrument und nicht mit einem langweiligen Pult angefangen haben?“ Lukas schaute mich zunächst ungläubig an, verstand aber sofort, dass ihm meine Aussagen bei seinem Vorhaben durchaus behilflich sein könnten. „Echt?“, war seine knappe Antwort. „Total echt“, verdichtete ich meine These und ergänzte pädagogisch: „Die richtig guten DJs schreiben ihre Songs alles selbst. Und du willst doch auch ein richtig guter DJ sein?“ „Na klar“, lächelte Lukas und ich hielt ihm meine Handfläche hin.
Wir Hi-Five-ten und Jonas nahmen mein Angebot an, ihm genauer zu erklären, welche Peripherie vonnöten sei, um seine Person in eine zeitnahe Berühmtheit zu verwandeln.
Natürlich war es (k)ein erneuter Zufall, dass ich ihn ein paar Wochen später mit seinem Vater in einem örtlichen Musikgeschäft sah und die beiden scheinbar mit der Recherche der idealen Einsteiger-Technik beschäftigt waren. Aus sicherer Entfernung konnte ich erkennen, wie sie einen großen Karton zur Kasse trugen. Ich war beruhigt und lächelte zufrieden. Eine wohlige Wärme umgab mich, denn auf dem Karton war das Abbild einer 49er schwarzweißen Tasten-Kombination zu erkennen. Für einen ganz kurzen Moment war da plötzlich dieser Namensgedanke „Erbi-Wan-Kenobi“, aber wirklich nur ganz kurz.