Die Video-Netz-Welt ist schräg und ein großer kommerzieller Moloch. Ich weiß, dass es zur Moneyfestierung dieser These keine Kolumne braucht. Es reicht völlig, wenn man mit offenen Augen und (Achtung, jetzt kommt‘s!) auch mit offenen Ohren durchs WEHWEHWEH surft, denn der neueste, letzte Internet-Schrei dafür ist „ASMR“. ASM-Was? AH-ES-EM-ER = „Autonomous Sensory Meridian Response“. Auf Deutsch nennt man es „Unabhängige sensorische Meridianreaktion“ und es bedeutet so viel wie „Ein Kribbeln am Kopf, das sich langsam zum Rest des Körpers bewegt, weil man ein schönes zumeist leises, humanes Geräusch gehört hat“. Sachen gibt’s!
Meine neue Facebookgruppe „Persönliche misanthropische Entwicklungen nach mehrstündigen Gebrauch von digitalen Medien“ ist aktuell noch spärlich besucht und leider haben sich auch die meisten von mir eingeladenen Freunde, schon gleich wieder aus Gruppe verabschiedet. Vielleicht liegt es daran, dass sie die Intention meiner Gruppenbildung anders deuten und sie sich eher wieder mit ihren, mir nicht erschließbaren Mechanismen einer individuellen Internetnutzung beschäftigen möchten.
Sicherlich wird Ihnen als regelmäßiger Leser dieser Kolumne nicht entgangen sein, dass der Verfasser keine besondere Affinität zu saitenbespannten Instrumenten besitzt und dass in der persönlichen Beliebtheitsskala die rundgeformten Holzklangkisten noch weit hinter dem Lesen von Bedienungsanleitungen und der Sinnhaftigkeit täglicher Datensicherungen liegen. Aber tatsächlich erwarb ich zum ersten Mal in meinem Musikerleben eine Errungenschaft, die sonst nur im Beuteschema der langhaarigen Schulterbandträger zu vermuten ist, nämlich ein Hall-Bodeneffektgerät.
Und wieder ereilte mich das alljährliche Schicksal, dass ich zum Pflichtgeburtstagsbesuch bei Susanne und Klaus eingeladen war. So richtig wusste ich eigentlich gar nicht, wer nun von beiden überhaupt Geburtstag hatte und war wie immer, einfach nur ins Auto gestiegen und mitgefahren. Auch an diesem Abend bot sich das gleiche Schicksal, mit immer den gleichen langweiligen Personen sowie den gleichen Themen und den gleichen Nörgeleien über die Arbeit, Gesundheit und das schlechte Wetter.
Internetforen sind einfach toll. Sie sind nicht nur Spiegelbilder realsatirischer Gesellschaftsprobleme, sondern auch Entstehungsstätte für stromgeladene Verschwörungstheorien und technischer Glaubensfragen, die regelmäßig zu virtuellen Kriegsschauplätzen und geschichtsträchtigen Beleidigungs-Szenarien führen. Nehmen wir als Beispiel die religionsgleiche Fraktion der Hi-Fi-Puristen. Foren mit Inhalt zur einfachen Rechts-Links-Beschallung sind wahre Edelmetallgruben für den täglichen kostenfreien Comedy- Konsum.
Selten, wirklich sehr selten nutze ich öffentliche Verkehrsmittel und meistens weiß ich nach einer ungewollten Ausnahme auch, warum es besser eine Ausnahme bleiben sollte. Der Tag meines letzten Bustrips in die City einer westdeutschen Großstadt begann mit der schicksalshaften Tatsache, dass mein Auto nicht ansprang und ich in die Stadt musste. In meiner täglichen Bekleidungsautomatik (einfach immer das erste T-Shirt von oben nehmen) hatte ich unkontrolliert und rein zufällig ein inoffizielles Kraftwerk-Autobahn-Shirt (das mit den Tour-Terminen von 1991) aus dem Wäsche-Stapel entnommen und angezogen. Kombiniert mit braunen Shorts und Einlagen-gepimpten Hiking-Schuhen verließ ich das Haus.
Peters Studio war exorbitant und wahrlich das Paradies für jeden Sammler oszillierender Gerätschaften. Neben einigen alten Modularsystemen und spektakulären Exponaten aus der Frühzeit analoger Tontechnik standen auch diverse Synths aktuelleren Beuteschemas in seinem 50 qm² Klangerzeugungs-Areal. Kein Wunder also, dass auch der große Teil seiner Musikerfreunde, die er häufiger zur Vernichtung von Grill- und Hefeteilchen einlud, dankbar vorbeikamen, um mal wieder seinen aktualisierten Fuhrpark zu bestaunen und echten Dokumenten aus dem letzten Jahrtausend zu huldigen.
Auch im Musikerleben gibt es Tage, da sollte man besser im Bett bleiben. Gerade dann, wenn morgens um halb neun die ersten Werbetelefonate die gerade angetretene Nachtruhe (ja für Musiker ist das noch Nachtzeit) jäh unterbrechen, drei verkleidete Kinder singend vor der Tür Buchstaben an den Türrahmen malen oder der Postbote eine Unterschrift für die erste der letzten Mahnungen per Einschreiben einfordert. Des Musikers bessere Hälfte hatte bereits vor Stunden das Haus verlassen und noch immer ärgerte ich mich, dass ich keine abschaltbare Türklingel besaß.
„Mach die Musik leiser“, schallte es aus der oberen Etage. Ich stutzte kurz und mutete die Monitore. Eigentlich hatte ich nur „usik leisa“ verstanden, konnte aber aus der signalgebenden Frequenz des Übermittlungsversuches erahnen, dass meine Lebensabschnittsgefährtin das Ungleichgewicht meines Abmisch-Lautstärkeanteils zu ihrer Fernsehausstrahlung reklamierte. „Ist doch gar nicht so laut“, erwiderte ich durch einen Türspalt meines Kellerstudios und erwartete noch in den nächsten Sekunden eine weitere Unterlassungs-Aufforderung.